«Vitrine» für Bauern und Handwerker
Später erreichen wir eine beschauliche Piazza. Ein älterer Akkordeonist spielt eine rassige Tarantella. «Der Markt, das ist quasi unser Wohnzimmer. Hier fühlen wir uns als grosse Familie. Hier entspannen wir uns, auch wenn wir eine schwere Woche hatten. Und hier treffen wir uns, auch wenn wir nicht verabredet sind», sagt Paolo Germann. Dieses «Wohnzimmer» ist rund 1,5 Kilometer lang und führt mitten durch die Altstadt, zu der auch elegante Herrschaftshäuser aus der Renaissancezeit und die barocke Kollegiatskirche gehören.
Markttage gibt es in Bellinzona seit dem Mittelalter. Die Tradition des regelmässigen Samstagsmarkts wurde aber erst 1975 eingeführt, um den Bauern, Handwerkern und Lebensmittelproduzenten aus der Region eine publikumsträchtige «Vitrine» zur Verfügung zu stellen. Einmal pro Jahreszeit kommt zum Samstag dann noch der Sonntag hinzu. Das merkantile Wochenende wird so zum richtigen Stadtfest – mit der Idee, saisonale Spezialitäten wie Käse, Weine und Würste im passenden Rahmen zu zelebrieren.
Anders als in norditalienischen Städten wie Mailand oder Turin, wo Lebensmittel strikt von Handwerkserzeugnissen getrennt werden, betreibt man im Kantonshauptort des Kantons Tessin einen gemischten Mercato. «Allerdings gibt es bei den Nahrungsmitteln eine Einschränkung», erklärt Germann: «Es dürfen nur Waren verkauft werden, die im Tessin produziert worden sind.» Dabei betören die Brote, Früchte, Käse, Konfitüren oder Wurstwaren nicht nur das Auge, sondern auch den Gaumen, weil der Marktbesucher fast immer eine Kostprobe offeriert bekommt.
Uns ergeht es dank der charmanten Marktbegleitung gar noch besser. Paolo hat uns zu Giuseppe Gianocca und damit zu einer immensen Salamiauswahl gelotst. Fachmännisch vergleichen wir nun Esel- mit Ziegen- oder Fenchelsalami, stellen aber bald fest, dass uns «Cinghiale» – jene mit Wildschwein – am meisten entzückt. Und was tut Signore Gianocca? Er bedankt sich bei Paolo, dass er ihm derart nette Kundschaft gebracht habe, und steckt uns zwei Wildschweinsalamis als Geschenk in eine Plastiktüte.